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Petina Gappah: Die Farben des Nachtfalters

Roman aus Simbabwe

Ein spannender Roman aus Simbabwe, der tief ins Land blicken lässt. In „Die Farben des Nachtfalters“ erzählt Petina Gappah die Geschichte einer Frau mit Albinismus, die zum Tode verurteilt in Simbabwes Hochsicherheitsgefängnis Chikurubi sitzt.

Die Autorin Pettina Gappah wurde 1971 im damaligen Rhodesien geboren, studierte Rechtswissenschaften in Harare, London und Graz und arbeitete als Anwältin in der Schweiz. Heute gilt sie als simbabwische Schriftstellerin. Sie selbst sei erst im Ausland zur Afrikanerin geworden – und nach der Unabhängigkeit 1980 zur Simbabwerin. In Simbabwe selbst war sie immer eine Shona.

Petina Gappah und Shona

Doch die Sprache hat sie nur die ersten drei Jahre ihres Lebens gesprochen, danach überwog Englisch. In ihrer Schule in der Hauptstadt Harare wurden eigentlich nur britische Schriftsteller wie Brontë, Dickens oder Shakespeare unterrichtet. Im Roman selbst nennt sie unzählige westliche Klassiker-Romane, wie zum Beispiel Papillon.

Später laß sie Ngugi wa Thiong’os Die Dekolonisation des Geistes, ein Klassiker für afrikanische Literatur, und sie bedauert, nicht auf Shona schreiben zu können. Petina Gappah schreibt sozusagen auch auf Englisch, weil sie Shona aufgrund ihrer „höheren Bildung“ auf der englischen Schule in Harare, dem Studium in London und Österreich und der Arbeit in der Schweiz nicht (mehr) kann.

Jacaranda Simbabwe
Die Hauptstadt Harare is bekannt für ihre Jacaranda-Alleen | Bild von Sharon Ang

Die Farben des Nachtfalters

Der Titel spielt auf den Nachtfalter Birkenspanner (Biston betularia) an. Normalerweise sind die Schmetterlinge hell gefärbt und tarnen sich zum Schutz vor Feinden auf der hellen Birkenrinde. Ende des 19. Jahrhunderts bemerkte man in England plötzlich überwiegend schwarze Birkenspinner. Die Schmetterlinge hatten die von dem industriellen Ruß geschwärzte Farbe der Birken angenommen. Nur ein Birkenspanner wisse, wie es für Memory sei, weiß und schwarz zu sein: „Genau wie er passte ich mich meinem wechselnden Umfeld an.“

„Die Farben des Nachtfalters“ ist Pettina Gappahs erster Roman, der englische Originaltitel heißt: „The Book of Memory“. Die Hauptperson Memory geht ihrer Erinnerung nach, um zu verstehen, wie sie dorthin gekommen ist, wo sie heute ist, in der Todeszelle des Hochsicherheitsgefängnis Chikurubi.

Petina Gappah Farben des Nachtfalters
Birkenspanner auf einer Birke | Foto von Raphi See

Eine Kindheit in Simbabwe

Sie wächst mit ihren Schwestern Joyi und Mobhi, Mutter Moira und Vater Benson in der Mharapara Street in Mufakose, einem Vorort von Harare auf. Memory ist die einzige, die nicht mir den Anderen draußen spielen kann, denn sie hat Albinismus und ihre Haut verbrennt schnell in der Sonne. Im ganzen Ort gibt es nur einen anderen Jungen, der auch Albinismus hat, doch Memory meidet auch ihn.

"Von klein auf war ich in der Lage, mich in mein Inneres zurückzuziehen und aus mir zu schöpfen, um mir selbst genug Gesellschaft zu sein."

Ihre Mutter denkt, Memorys weiße Hautfarbe sei heilbar und bringt das Mädchen von einem traditionellen Heiler zum nächsten, bis der Vater einschreitet, es sei kein Fluch! Memorys Vater ist einer der einzigen, die nicht trinken. Er arbeitet zuhause und kümmert sich mit um seine Kinder.

Als Memory neun Jahren alt ist, trifft sie mit ihren Eltern in einem Café Lloyd Hendricks. Memory sieht, wie er ihrem Vater Geld gibt. Und das nächste Mal, als Memory Lloyd sieht, ist das letzte Mal, dass sie ihren Vater sieht. Fortan lebt sie bei Lloyd Hendricks in Umwinsidale, auch einem Vorort von Harare. Lloyd arbeitet an der Universität von Simbabwe und kann besser Shona schreiben als Memory, denn er übersetzt u.a. Homer und Aristoteles ins Shona. Lloyd sorgt gut für Memory, er beschafft ihr spezielle Salben für ihre Haut und finanziert ihr eine gute Schulbildung, mit der sie später eine Elite-Uni besuchen könnte…

"Die Erinnerung an vergangene Feste macht ein hungriges Kind nicht satt."
Transporter Simbabwe
Transporter in Simbabwe | Bild von toubibe

Chikurubi Gefängnis

Ihre Geschichte erzählt Memory selbst, bzw. schreibt sie für eine amerikanische Journalistin auf, die an einer Reportage über Memory arbeitet. Memory schreibt aus der Todeszelle des Chikurubi-Gefängnis in Harare „im Schatten des Galgens“.

Rund 400 Frauen sind hier mit Memory inhaftiert. Sie ist die einzige im Todestrakt. Seit über 20 Jahren ist Memory die erste Frau, über die die Todesstrafe verhängt wurde. Angeklagt und schuldig gesprochen wurde sie der Ermordung des Weißen Lloyd Hendricks.

Ihre weiße Haut und das aufgelesene Chamäleon auf ihrer Schulter verschaffen Memory im Hochsicherheitsgefängnis einen gewissen Respekt. Hier, wo die Insassinnen nur mit den Wärterinnen sprechen dürfen, während sie knien, ist es für Memory nicht von Nachteil, wie eine Hexe zu wirken.

"Meistens langweile ich mich nur. Alles, was man über einen längeren Zeitraum macht, wird irgendwann zur Routine, sogar das Warten auf den eigenen Tod."

Petina Gappah schreibt über Todesstrafe

Memorys Mitinsassin Mavis sitzt bereits 30 Jahre im Gefängnis. Als sie verurteilt und eingesperrt wurde, hieß Simbabwe noch Rhodesien. Und auch die Unabhängigkeit Simbabwes im Jahr 1980 musste sie im Gefängnis verbringen. Sie glaubt nicht, dass sie sich an eine dritte Welt, nach der Republik Rhodesien und dem Gefängnis, gewöhnen kann.

Simbabwe gehört zu den 92 Ländern der Welt, in denen die Todesstrafe verhängt und durchgeführt wird. In 2020 wurden in Simbabwe offiziell sechs Menschen zum Tode verurteilt, aber keiner hingerichtet. Im Nachbarland Sambia liegt die Todesstrafe seit mehr als zehn Jahren auf Eis. Dennoch gab es in 2020 für 119 Menschen eine Verurteilung zum Tod. In Botswana hingegen gab es drei Hinrichtungen und eine Verurteilung.

Wegen des Coronavirus begnadigte und entließ die Regierung in Simbabwe 2021 rund 3.000 Häftlinge. Schwere Gewaltverbrechen, Mord und Sexualverbrechen waren nicht dabei, doch der Präsident soll viele Todesurteile zu einer lebenslangen Haft umgewandelt haben.

Petina Gappah schreibt über Todesstrafe
| Foto von Hédi Benyounes

Albinismus

Da Menschen mit der Pigmentstörung Albinismus in Simbabwe bis heute in einigen Teilen des Landes diskriminiert werden, machte die Miss Albino-Wahl 2018 in Simbabwe auch hier Schlagzeilen. Sie war ein Zeichen gegen den Aberglauben mancher einheimischer Mythen und traditioneller Heiler, die glauben, Körperteile von Albinos bringen Glück und Reichtum.

"Dabei wurzelt ihre Haltung gewissermaßen in der Sprache. Als 'murungudunhu' oder 'musope' befinde ich mich wie normale Menschen in der Nominalklasse eins. 'Murungudunhu' hat aber eine tiefere Bedeutung. Als 'murungudunhu' bin ich eine schwarze Frau, deren weiße Haut nicht als 'murungu' gilt, also nicht als Privileg, sondern als 'dunhu', als lächerlich und vorgetäuscht – ein grässliches Weiß."

Diese Ausgabe erschien 2017 beim Arche Verlag in Zürich-Hamburg.


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