„Die Piroge“ ist ein kurzer Roman von unter 100 Seiten, der mitreißend die Bootsfahrt von Senegal über den Atlantik auf die Kanarischen Inseln erzählt. Abasse Ndione beschreibt Ursachen, die Planung und die gefährliche Überfahrt aus afrikanischer Sicht.
Ich hab mich bei diesem Roman sofort auf die Überfahrt der Flüchtlinge konzentriert. Bei einem anderen Thema hätte ich mich wahrscheinlich auch über zum Beispiel Dakar informiert, wie bei dem Roman aus Angola. Die kurze Geschichte ist auf einen strengen Kurs gerichtet, Nebenhandlungen gibt es kaum.
Ndione schreibt immer zuerst auf Wolof und übersetzt dann selbst ins Französische. Der Autor kommt aus einem Dorf in der Nähe von Dakar und war nach der Schule mehr als 30 Jahre Krankenpfleger. Vielleicht liegt es mit daran, dass der Roman wie eine erzählte Erzählung wirkt. Das Buch würde sich auch wunderbar zum Vorlesen eignen.
Ein Marabut soll Ndione Jahre später vorausgesagt haben, dass er später einmal ein berühmter Schriftsteller werden würde. Und das stimmt ja auch schon. Im Original auf Wolof heißt sein Roman:
Mbëkë mi
Es bedeutet „Kopfstoß“ oder „Kampf gegen die Wellen“. Die beiden Fischer Baye Laye und Kaaba möchten mit 40 weiteren Landsleuten in einer Piroge, die sie traditionell zum Fischen nutzen, über den Atlantik zu den Kanarischen Inseln fahren. Die Piroge besteht aus dem Stamm eines Neem-Baumes aus der Casamance, dem Süden Senegals und ist besonders robust und widerstandsfähig.
Die Passagiere stammen alle aus einem Dorf. Vor ihrer Abreise nach Europa erhalten alle Männer von den Dorfältesten Talismane. Darunter Zahnstocher. Die Männer werfen sie als Glücksbringer bei der Abfahrt alle gleichzeitig in die Wellen. Baye Layes Frau hat ihm eine ganze Liste von Anweisungen mitgegeben, die er auf dem Weg zur Piroge befolgen muss.
Barça oder Tod
Barça walla Barsakh! So lautet der Spruch der Flüchtlinge: Bacelona oder Tod!
Die Fahrt dauert 10 Tage, an denen die Passagiere der Piroge 1.500 Kilometer zurücklegen müssen. Die Piroge ist so klein, dass die Dorfbewohner mit dem Kopf auf den Knien oder gegen die Bordwand gelehnt schlafen. Als Toilette dienen vier Schüsseln und dazugehörende Reiniger. Schwimmwesten nehmen sie nicht mit. Die Fischer hätten zwar welche, würden sie aber nicht anlegen. Das bringe Unglück und schaffe Misstrauen.
Wellen, die Flüchtlinge auch ohne Piroge nehmen müssen
Nicht alle der 40 Dorfbewohner haben schon einmal das Meer gesehen. Sie kommen nicht von der Küstenregion, sondern bauen im Landesinneren Erdnüsse an. Im Senegal, nördlich von Gambia, befindet sich das Erdnuss-Becken. Auf fast ein Viertel der Fläche Senegals wird Erdnussanbau betrieben.
Heute gibt es darüber viel Kritik. Die Monokultur schädigt den Boden, die landwirtschaftlichen Maschinen sind veraltet und für die Dorfbewohner kommen nun noch Missernten hinzu. Dadurch, dass die meisten Senegalesen im Erdnuss-Gewerbe tätig sind, hat sich kaum Industrie aufgebaut. Mit Ausnahme der Fischerei. Ungefähr jeder fünfte Senegalese verdient seinen Unterhalt mit dem Fischfang.
Aber auch die Fischer Baye Laye und Kaaba sehen keine ausreichende Verdienstmöglichkeit mehr. Drei Wochen waren sie bereits auf dem Meer und hatten keinen festen Boden unter den Füßen. Dabei war die Ausbeute mehr als spärlich. Es gebe nicht mehr viel Fisch im Meer, ausländische Fangflotten fischen mit riesigen Trawlern und Schleppnetzen die fischreichen Gewässer an der Küste leer.
Die EU hat in 2014 ein Fischereiabkommen mit Senegal geschlossen. Es galt zunächst für fünf Jahre und verlängert sich ohne Kündigung stillschweigend um weitere fünf Jahre, zuletzt im November 2019. Das Abkommen erlaubt bestimmten EU-Schiffen in den senegalesischen Gewässern nach Thunfisch und Seehecht zu fischen. Für etwa 1,7 Millionen Euro pro Jahr dürfen europäische Schiffe eine Referenzmenge von 10.000 Tonnen Thunfisch und nicht über 1.750 Tonnen Seehecht fangen.
Durch diese Abkommen, die Senegal auch mit China und Russland unterhält, gebe es immer weniger Fisch für die einheimischen Fischer zu fangen. Auf der anderen Seite hielten diese Abkommen andere Länderflotten fern. Laut Ndione ist es vor allem ein Versagen der Politik, dass die jungen Menschen Senegal verlassen, um an einem anderen Ort zu arbeiten.
Diese Ausgabe erschien 2014 beim Transit-Verlag in Berlin.
2012 führte der senegalesische Filmemacher Moussa Touré Regie bei der Verfilmung des Romans.