Eine Wahnsinnsgeschichte rund um das Tor der Tränen in Dschibuti – einem kleinen Land, das man nicht unbedingt auf dem Schirm hat. Hat man es doch, kreisen einem Schlagwörter um den Kopf wie Piraten ums Horn von Afrika.
Der erste Teil des Romans handelt von den Teufelsinseln im Ghoubbet-el-Kharab am Golf von Tadjoura und neben dem Assalsee. Der zweite Teil behandelt das Tor der Tränen (Bab al-Mandab), eine 27 Kilometer breite Meerenge zwischen Dschibuti und dem Jemen. Die geplante Bridge of Horns sollte die beiden Länder verbinden, aber seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs im Jemen wurde sie nicht weiter gebaut. Das Schöne an „Tor der Tränen“ ist, dass man am Ende über all diese Dinge informiert ist und das aus zwei sehr unterschiedlichen Sichtweisen.
Dschibuti aus zwei verschiedenen Perspektiven
Dschibril und Dschamal wurden einen Tag vor der Unabhängigkeit Dschibutis im Juni 1977 geboren. Die Zwillingen, die gleich aufgewachsen sind, könnten unterschiedlicher nicht sein. Sowohl Dschibril als Rückkehrer und Spion als auch Dschamal als Mudschahed sind sehr gut erzählt. Keiner von ihnen fällt aus seiner Rolle, während sie abwechselnd die Geschichte erzählen.
Am deutlichsten wurde das Missverhältnis der Brüder an Dschibrils Kindheitsfreund David, den er seinen „wahren Zwilling“ nennt. Das steht so ziemlich gegen alles, was man von Zwillingsgeschichten erwartet. Die Weichen für nicht nur verschiedene, sondern entgegengesetzte Lebenswege wurden früh durch den unterschiedlichen Zugang zur Religion geprägt. Denn anders als Dschamal fühlte Dschibril sich in der Koranschule nie wohl, sogar gehänselt, und fand keinen Zugang zum Islam.
Dschib, der überschätzte Rückkehrer
Mit 18 drehte Dschibril seiner Heimat deshalb den Rücken zu, studierte in Paris und zog nach Montreal. In Kanada sei er aus seinem Kokon geschlüpft und zu dem Mann geworden, der er heute ist. Doch er verspührt Tränen in den Augen, als er wie ein nostaligischer Tourist auf sein Heimatland blickt.
Jetzt ist er für einige Tage zurück in Dschibuti, um für eine amerikanische Sicherheitsfirma die Situation vor Ort auszuspionieren. Später sagt er, seine ungeduldigen Auftraggeber könnten nichts mit seinen Tränen über sein früheres Leben anfangen. Was sie benötigen, sind Insider-Informationen. Dschib hat also nicht ganz Dschibuti den Rücken gekehrt. Von sich selbst sagt er, er sei unfähig gewesen, „dem Ruf der Heimat, der Erde der Vorfahren“ zu widerstehen.
Wäre Dschamal nicht in „Tor der Tränen“ vorgekommen, hätte ich ihn wahrscheinlich nicht unbedingt begonnen zu lesen. Rückkehrer-Romane reizen mich (noch) nicht sonderlich, da sie mehr Westliches einfließen lassen als Geschichten, in denen die Figuren ihr Leben lang in einem der afrikanischen Länder lebten.
Dschamal ist ein Kulturschock.
Dschamal, der stille Wütende
Der jüngere Zwilling hat einen ganz anderen Einstieg als Dschibril. Seine Kapitel sind mit arabischen Buchstaben betitelt und beginnen meist mit einem Gebet oder einer Verwünschung. Er blieb mit den Eltern am Horn von Afrika zurück, die zwei Jahre nach Dschibs Weggang starben. Im Gegensatz zu seinem Bruder vertiefte er sich nach und nach in radikale Lehren. Er schreibt auf Papierfetzen, die der Wind ins Hochsicherheitsgefängnis der Teufelsinseln weht.
Zu seinen Hauptanklagepunkten gehören Attentate, außergerichtliche Hinrichtungen, Verbindungen zu den Taliban, Waffenschmuggel und einiges mehr. Für Dschamal hat Dschib nicht nur seinem Land und seiner Familie, sondern auch seiner Kultur und Religion den Rücken gekehrt. Durch sein Netzwerk bleibt er auch in der abgeschotteten Gefängniszelle bestens informiert und kann die Schritte seines Bruders in Dschibuti verfolgen. Und steuern.
"Einen ruhelosen Geist tötet man nicht." "Im Übrigen sagt man nie, er sei gestorben, sondern 'wieder gegangen'."
Laut Dschamal gingen die Menschen in Dschibuti vom gesprochenen zum geschriebenen Wort über, als die Suren (Kapitel des Korans) aufgeschrieben wurden. Dschamal kennt die Werke von Walter Benjamin, von Plutarch, Sokrates, Gustave Flaubert, Joseph Kessel, André Gides… doch für ihn sind diese „kleinen romanhaften Erzählungen, die eine Zeitlang zerstreuen und unterhalten“ nichts im Vergleich zum Koran. Der Koran hört für ihn nie mit dem letzten Satz auf.
Sich selbst sieht er als stotternden Schreiber und Diener im Diktat seines Herrn. Er würde wahrscheinlich selbst von diesem Roman nicht außerordentlich viel halten, denn er ist gegen jegliche „ausländische Infizierung“. Sein Land ist ihm heilig und die Hauptstadt eine antike, gesegnete Stadt. In dem „westlichen Lack“ der heute teils modernen Städte sieht er nichts als westliche Dekadenz.
Teufelsinseln in „Tor der Tränen“
Gab es die Teufelsinseln in Dschibuti wirklich? Von den beiden Inseln findet man nicht sehr viel im Internet. Sie liegen im See Ghoubbet-el-Kharab und sollen wie die Teufelsinsel in Guyana als Gefängnis gedient haben. Bereits 1890 stritten sich Engländer und Franzosen um die beiden Vulkaninseln. Frankreich gewann und machte aus den Inseln ein Internierungslager, in das Aufsässige aus der Region verbannt wurden. Ab 1939 sollen hier auch Deutsche interniert worden sein.
Das Bagno beschreibt Dschamal als sehr heruntergekommen. Es besteht aus Basaltsteinen und Bambuszäunen – und alles drumherum sei aus Stein. Doch die Menschen aus der Region wüssten, dass die Steine Wärme speichern und geheime Heilkräfte besitzen.
"Es heißt, bei der Geburt mache der Geist Bekanntschaft mit seiner Hülle. Im Sterben wird er eins mit der Erde."
Assalsee in Dschibuti
Neben dem Ghoubbet-el-Kharab liegt der Assalsee. Sein Seespiegel liegt um die 150 m unterhalb des Meeresspiegels. Damit markiert er die tiefste Stelle Afrikas. Tiefer liegt sonst nur das Tote Meer in Israel mit 420m unter dem Meeresspiegel.
Tor der Tränen-Meerenge
Die Meerenge zwischen dem Jemen und Dschibuti ist das Bab al-Mandab, das auch Tor der Tränen genannt wird. An der engsten Stelle misst sie gerade mal 27 Kilometer. In naher Zukunft soll in der Region ein Gewerbepark entstehen. Entworfen und geplant von Dubai – so Dschibril. Außerdem solle es bereits beschlossene Pläne für eine von Saudi-Arabien finanzierte Brücke zum Jemen geben. Sie verspreche Arbeitsplätze und Wohlstand für die Region. Wer davon letztendlich profitiere, könne Dschibril selbst nicht ganz durchblicken.
Uran-Vorkommen
Dschibuti weist durch seine Oberfläche und geologischen Tiefen ein hohes Uranpotenzial auf. Reiche Uranmagnaten, so Dschribril, die auf die Erschöpfung der Ölreserven und die Rückkehr der Atomenergie setzen, ständen bereits in den Startlöchern. Dschibril ist für eine amerikanische Gesellschaft für Wettbewerbsanalyse vor Ort, um die Stabilität des Landes einzuschätzen. Laut ihm gilt die Region für Washington nach Afghanistan und dem Irak als das größte Pulverfass der Welt.
Militärbasen
An kaum einem Ort in Afrika gibt es so viele ausländische Militärbasen. Nicht nur die USA und China, sondern auch Frankreich, Italien, Japan und jüngst Saudi-Arabien sind hier stationiert. Dazu war bis Ende April 2022 auch die deutsche Bundeswehr mit Streitkräften für die Operation Atalanta vor Ort. Sie unterstützt den Schutz des Welternährungsprogramms und die Sicherung der See- und Handelsrouten vor Somalia.
Diese Ausgabe erschien 2011 bei Edition Nautilus in Hamburg.
Danke für die schöne Rezension.
Man bekommt richtig Lust auf das Buch ohne gespoilert zu werden. Dazu echt interessante Häppchen zum Land Dschibuti on top.
Keep up the great work!
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