Was mich an diesem Roman aus Afrika am meisten interessiert, sind seine Seltenheit und Skandale. Yambo Ouologuem veröffentlichte 1968, nur acht Jahre nach der Unabhängigkeit Malis, ein umstrittenes Buch, das Afrika nicht als Opfer des Kolonialismus sieht.
Wie passt das zusammen? So kurz nach dem Ende der französischen Kolonialherrschaft, mitten in der postkolonialen Debatte, veröffentlicht ein Autor aus Mali eine Sage über „Das Gebot der Gewalt“ in Afrika. Frankreich ist begeistert und verleiht Yambo Ouologuem noch im gleichen Jahr – mit nur 28 Jahren und als erstem afrikanischen Autor – den bewährten Prix Renaudot. Er wurde schon als afrikanischer Proust gefeiert, aber kurz darauf fällt das Kartenhaus in sich zusammen.
Yambo Ouologuems Verschwinden
Ganze Passagen des Romans sollen von Graham Greenes „It’s a Battlefield“ und einigen anderen Romanen abgeschrieben worden sein. Ouologuem wirft die Vorwürfe auf seinen Publisher zurück, entkommt damit aber nicht dem Strudel aus Anschuldigungen. In den 1970er Jahren beschließt er deshalb, Frankreich und dem Westen den Rücken zuzukehren und nach Mali zurück zu gehen.
Ouologuem verschwand vollständig aus den literarischen Kreisen Frankreichs und gab auch keine Interviews mehr. 2021 erhielt der Schriftsteller Mohamed Mbougar Sarr aus Senegal den französischen Prix Goncourt. Sein Roman „La plus secrète mémoire des hommes“ ist Yambo Ouologuem gewidmet und handelt von der rassistischen Geschichte der französischen Literaturpreise.
Ich war allerdings schon begeistert, bevor ich den Roman überhaupt gelesen hatte. Ein Roman aus Mali! Wie oft kommt das schon vor? Bücher aus Afrika und von afrikanischen Autoren sind allgemein nicht unbedingt leicht zu finden und erst recht keine Romane aus Mali.
Und dann hatte Yambo Ouologuem mich auch bei seiner Widmung in „Das Gebot der Gewalt“ schon direkt überzeugt. Ich habe extra in einer Vorschau der französischen Ausgabe nachgeschaut, ob Ouologuem im Original so schön formuliert oder ob Eva Rapsilber in ihrer Übersetzung viel nachgeholfen hat. Widmungen sind ja Gott sei Dank kurz.
Er schreibt wirklich so schön.
Trotz aller Schwierigkeiten mit rassistischen Begriffen aus den Sechzigern hatte die Übersetzerin bestimmt auch viel Freude an dem Roman. Yambo Ouologuems fast schon poetische Schreibweise springt einem direkt ins Auge und schleicht sich durch den ganzen Roman.
Sehr leise, denn dann wird man wieder von einem brutalen Absatz aus den schönen Formulierungen gerissen.
Inhalt und Message von Yambo Ouologuem
Nun zum Inhalt von dem umstrittenen Roman aus Afrika. Worum geht’s eigentlich?
Es geht um das fiktive westafrikanische Reich Nakem, das von der Dynastie der Saïfs regiert wird. Bei ihnen gilt nicht das Prinzip der Nächstenliebe, sondern das der Gewalt. Der Handel mit einheimischen Sklaven bringt ihnen Reichtum, den sie sich weder von der christlichen Kirche noch von den französischen Kolonialisatoren streitig machen lassen.
Die fiktive Geschichte reicht vom 13. Jahrhundert bis 1947 und ist auf gerade mal 272 Seiten dennoch relativ kurz. Yambo Ouologuem entwirft ein Bild von Afrika, das im postkolonialen 1968 besonders schräg und originell ist. Unter anderem deshalb gewann er als erster afrikanischer Autor und noch im gleichen Jahr der Veröffentlichung den Prix Renaudot. Aber was ist das andere Bild von Afrika? Die frühe Ausnutzung und Zerstörung Afrikas durch die frühen Dynastien, die unter anderem dann auch Mittäter bei kolonialen Gräueltaten waren.
Die ersten größeren Anschuldigen gegen Yambo Ouologuem kamen direkt aus Afrika. Nicht nur, weil der Roman radikal Tubthemen wie Homosexualität und Kannibalismus abhandelt, sondern weil er mit allem abrechnet. Alle waren am Sklavenhandel beteiligt und profierten davon: die Saïfs, die Franzosen, der Islam, das Christentum, arabische Universitäten, europäische Gesellschaften… Ouologuem geht wie ein radikaler Schnitt mit der Machete durch ein dichtes Buschwerk aus Geschichte. Rechts, links, alles falsch.
Todesstoß der Négritude
Ouologuem ist auch dafür bekannt, der Négritude-Bewegung von unter anderen Léopold Sédar Senghor aus Senegal und Aimé Césaire von der französischen Übersee-Insel Martinique den Todesstoß versetzt zu haben. In den 1930er und 40er Jahren begannen sie, die „schwarze“ Kultur und Tradition Afrikas verstärkt in den Vordergrund zu stellen. Sie wollten ein Gegenbild zum negativen französischen Fremdbild erstellen. Zu unserem eurozentristischen Blick? Und Ouologuem riss es mit seinem Roman als Ankündigung ein, in Afrika habe schon seit Jahrhunderten das Gebot der Gewalt geherrscht.
Diese Ausgabe erschien 2019 beim Elster Verlag in Zürich