Wieder ein skurriler Roman aus Afrika. Diesmal von Koulsy Lamko aus dem Tschad – „Der Schmetterlingshügel“ spielt allerdings in einem anderen Land: Eine Frau wird als Schmetterling wiedergeboren und führt uns nach Ruanda in das Jahr 1994.
Koulsy Lamko wurde 1959 in Dadouar, einer Stadt etwa 500 km östlich der Hauptstadt N’Djamena, geboren. Als 1979 der Bürgerkrieg im Tschad ausbricht, flieht Lamko nach Burkina Faso. Nach einigen erfolgreichen Jahren am Theater und als Musiker, reist Lamko weiter nach Ruanda. Seine Erfahrungen hält er in diesem Roman fest.
„Und doch steht mir am Ende nur ein Recht zu: dasjenige, Geschichte zu paraphrasieren.“
Der Roman „Der Schmetterlingshügel“ wurde mir auf Instagram empfohlen. Sonst hätte ich ihn bestimmt nicht entdeckt und ich hab auch leider noch keinen weiteren Roman aus dem Tschad auf Deutsch finden können. Dieser Roman spielt leider nicht im Tschad, aber dafür in Ruanda.
April – Juli 1994: Völkermord in Ruanda
Ein weiblicher Schmetterling flattert im April 1994 durch Ruanda. Der Völkermord an den Tutsi hat gerade eingesetzt und wird noch bis Mitte Juli anhalten. Innerhalb der wenigen Monate werden über eine Million Tutsi getötet. Zum großen Teil einfach mitten auf der Straße.
Denn neben der ruandischen Armee, Nationalpolizei und den Milizen waren auch große Teile der Hutu-Bevölkerung an dem Genozid in Ruanda beteiligt. In den sogenannten „10 Gebote der Hutu“ wurde öffentlich erklärt: Jeder Soldat musste ein Hutu sein, sie durften keine Tutsi-Frauen haben, man durfte als Hutu kein Mitleid mit den Tutsi haben oder die Tutsi und ihre Propaganda seien der gemeinsame Feind.
Der Völkermord in Ruanda als koloniales Wurzelgewächs
Die Wurzeln des Konflikts liegen auch im Kolonialismus. Von 1884 bis 1916 war Ruanda Teil der Kolonie Deutsch-Ostafrika. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde es unter belgische Herrschaft gestellt. Die in dem Gebiet lebenden Tutsi und Hutu unterschieden sich zum Beispiel in der Hinsicht, dass die Tutsi Vieh züchteten und die Hutu Ackerbau betrieben. Die deutschen und belgischen Kolonialherren erklärten die Tutsi zur überlegenen Gruppe, was in einen grausamen Hass von Seiten der Hutu umschlug.
Während die regierenden Hutu die Tutsi töteten und die europäischen Kolonialmächte nicht eingriffen, kam’s auch noch zum Versagen der Vereinten Nationen. Erst wurde zu wenig eingegriffen und nach einem Rückschlag wurden weitere Blauhelmsoldaten aus Ruanda abgezogen.
Metamorphose des Landes
Der Schmetterling im Roman von Koulsy Lamko ist die Wiedergeburt einer verstorbenen Frau, die von einem katholischen Pfarrer vergewaltigt und ermordet wurde. Dazu muss man sagen, dass die Szene im Roman sehr detailliert beschrieben wird. Nach ihrer Metamorphose zum Schmetterling flattert sie auf ihrem Wanderflug durch das Land zwischen den Menschen und ihren Geschichten umher. Sie befragt Mitglieder der Armee, Pfarrer und selbst Tote über ihre Erfahrungen im Völkermord in Ruanda.
„Ich habe Angst vor der Erde unter mir, vor ihrer Völlerei, ihrem Verrat, ihrer Dummheit, ihren sprießenden Hörnern der Gemeinheit… Angst vor all ihren Tälern und Spalten des Unglücks.“
Ihre Flügel bringen sie ins Leben zurück. Sie tragen die Hoffnung, das Land wieder aufzubauen. Auf der Suche nach ihrer Nichte hört der Schmetterling unzählige Geschichten, Legenden und Mythen, die das Land vereinen. Nach dem Völkermord befand sich Ruanda in einer Übergangsphase und wartete auf die Metamorphose.
Ruandas neue Identität
Ich les eigentlich immer mit Bleistift in der Hand und mach mir am Rand Notizen. In diesem Buch zum Beispiel hier:
„Trotzdem haben man sollte und du musst beide die Tendenz, dich zu verneinen, ansatt dich zu der zu machen, die du bist. Du kannst hingegen – und hier macht die philosophische Poesie der Beobachtung einen großen Fehler – du kannst ist im Unendlichen angesiedelt und lädt dich ein, Wunder zu vollbringen.“
Ein Zitat wie aus einem pseudophilosophischen Buch. Wenn man das Zitat in den Kontext des Genozids in Ruanda stellt, bekommt es die Schwere der Kolonialisierten. Die Metamorphose als Suche nach einer neuen Identität. Kurz nach dem Völkermord wurde Paul Kagame, ein Tutsi, Vizepräsident und Verteidigungsminister.
Paul Kagame
Seit dem Jahr 2000 ist Paul Kagame Präsident von Ruanda. Einige feiern ihn als größte afrikanische Führungskraft, weil er Ruanda aus der Asche 1994 wieder zu einer Einheit machte. Außerdem hat Kagames Regierung den Ruf, kein bisschen korrupt zu sein. Er ist ein moderner Politiker, der gerne und viel auf Social Media unterwegs ist. Das Foto von Wole Soyinka und ihm auf diesem Blog ist sogar von Kagames Flickr-Account.
Diese Ausgabe erschien 2010 beim Angkor Verlag in Frankfurt am Main.